MEXICAN STANDOFF
EXTRACT
Translated into German by Sabine Schiffner
DIE STRÖMUNG
Wir folgen dem strömenden farblosen Fluss.
Ringsum nur Wälder voll ausgestorbener Primaten.
Verzweifelte Nashörner stecken in Bäumen fest.
Im Wasser stehen Steine, darauf sind Fische,
die Flossen wie Arme in die Seiten gestemmt, stützen sie sich auf ihren Schwänzen ab.
Man könnte ihren Blick mitleidig nennen.
Dann prallen wir unter Wasser auf Felsen,
viele verletzen sich, manche kommen dabei sogar ums Leben.
Die Steine versuchen uns davon abzuhalten,
dem Fließen zu folgen.
Wir haben kaum eine Wahl:
Den Tod an den Steinen oder der Strömung zu folgen.
Diejenigen, die überleben und weiterkommen,
folgen dem strömenden farblosen Fluss.
Auf dem weiteren Weg sehen wir uns an.
Das Wasser macht das Schauen schwer.
Wir versuchen uns zu berühren,
aber das Wasser will jede Berührung verhindern.
Ohne dass wir es wissen, ist alles, was mit uns war, jetzt immer noch mit uns.
Es folgen der Strömung unsere Hosen, Kleider,
Hemden, Mäntel, Pelze, Fräcke,
Unterwäsche, Mützen, Tücher, Socken, Pantoffeln, Stiefel,
Gürtel, Schnürsenkel, Fäden, Schnallen, Haarnadeln,
Scheren, Bürsten, Stecknadeln.
Uns folgen auch Tische, Stühle, Schränke, Regale,
Betten, Liegen, Sessel, Spiegel,
Teppiche, Gardinen, Handtücher, Lappen,
Teller, Gläser, Tassen, Löffel,
Gabeln, Messer, Kochtöpfe, Kessel,
Hämmer, Sägen, Feilen.
Langsam, aber vorwärts, strömen wir weiter,
wir lächerlichen Menschen
mitsamt unseren bedauernswerten Haustieren.
Ringsum ist Urwald, dunkle Lianen hängen herunter,
Wolfswelpen knabbern an Menschenknochen,
schwitzende Löwen poppen Panther, die auf dem Rücken liegen.
Uns folgen auch Türen, Fenster, Fensterläden, Schlösser,
Gitter, Schlüssel, Angeln, Riegel
Säulen, Kuppeln, Balken, Rohre
Äxte, Sensen, Hacken, Sicheln,
Rechen, Besen, Spaten, Ausklopfer,
Nägel, Nadeln, Stäbe.
Dann folgen Taschen, Handtaschen, Truhen, Koffer,
Säcke, Tüten, Kästen, Körbe,
Schatullen, Sparbüchsen, Portemonnaies, Bündel,
Kissen, Matratzen, Bettdecken, Überdecken,
Fernrohre, Gewehre, Trinkflaschen, Waagen,
Arzneien, Rosenkränze, Talismane.
Wir und alles, was mit uns ist, sind bald verrostet und ganz voller Moos.
Algen wickeln sich um unsere Glieder und lassen uns nicht mehr los.
Das Wasser dringt in uns ein, färbt unsere Haut grün.
Wir verfaulen nach und nach,
fangen an zu stinken und machen die Strömung stinkend.
Aber es ist doch diese Strömung selbst, die uns verfaulen lässt.
Dann schwimmen im Wasser leere Särge herum, die sind wie Boote,
und alle leeren Boote wirken wie Särge.
Und sie lavieren umeinander herum.
Und wir müssen uns dort hindurchlavieren.
Das alles ist eine völlig sinnlose Farce.
Doch keinem ist nach Lachen zumute.
Die Strömung macht uns immer müder, quält, versetzt in Angst und Schrecken.
Sie bricht uns das Genick und bringt uns um den Verstand.
Wir können nicht ans Ufer kriechen. Selbst wenn wir dorthin gelangen würden,
verhieße das Ufer nichts Besseres als die Strömung.
Auch dort gibt es keine Erlösung.
Und die Ausweglosigkeit stellt sich mit verzerrtem Gesicht dar.
Und in dem Moment, wo das Entsetzen darüber am größten ist,
schreien wir so laut wir können,
damit sie sich erschreckt, wenn sie es denn hörte.
Aber sie kennt unseren Schrei nicht,
denn er, der aus den Abgründen der Herzen kommt,
wird vom lauten Strömen des Flusses übertönt.
Die Strömung zieht uns weiter, tastend
finden wir eingebildete Furten, auf die wir klettern könnten.
Unser Inneres nimmt Wasser auf, auch von Außen werden wir flüssig
und vom Wasser nicht mehr zu unterscheiden.
Jedes Mal färbt sich das Wasser blasser,
immer um die Opfer an den Steinen herum.
Vielleicht ist Erlösung in der Erkenntnis, dass es notwendigerweise
eine Erlösung gibt und dass das wichtigste ist, darum zu wissen
und nicht so sehr, sie zu finden.
Vielleicht ist auch die Strömung
selber die Erlösung. Erlösung von Schrecken,
die zu erwähnen sich sogar mit wassergefülltem Mund nicht lohnt.
EXTRACT
Translated into English by Peter Scotto
BLOOD
You wanted it, you’ve got it! –
says the age of social networks, –
the same blank look everywhere,
each in his own darkness
with a face like the dark side of the moon,
fuck your faces,
which you don’t need anyway, –
it says, and you can’t say it’s mistaken,
the more so since it prefers reality
and like a drunken Inquisitor hangs around
those places of the Oikoumene
where faces still share the flickering of features,
the way the desperately ill
share news of wonder-working herbs;
it drags itself around like some shaggy sage,
walks into a bar, sucks down a beer,
and to follow
has to make do sucking its own thumb.
But when you see,
that nothing has the strength to stop the bleeding of the world,
then the less it seems
that the age or even people are to blame;
you think something else:
you think that blood might be a lubricant,
needed for life and death to get together,
and by bullet-riddled walls, by opened veins,
by efficient scalpels and butcher knives,
alongside bullets pulled from bodies,
in laboratories with test tubes filled with blood,
everywhere where blood is on the outside,
life and death have made their bed of love
and have come together, like divine vampires.
In case of using the information, please, indicate the source.